Kokos-Kelch

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zeigt noch bis 2. März 2025 die Sonderausstellung Hello Nature. Besonders begeistert hat mich dort der Kokosnuss-Kelch von 1535. Denn er ist fast harmlos! Es ist ja davon auszugehen, dass die Kokos-Schale eigentlich ein Abfallprodukt war, auch wenn die darin enthaltene Kokosnussfleisch- und die Kokos-Milch ein koloniales Handelsgut war – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Die Verwendung der Schale als Rohstoff für eine kunsthandwerkliche Gestaltung entspricht also genau der Idee, Abfall vor der endgültigen Entsorgung nochmal kreativ zu nutzen. Und auch aus der Perspektive des Recyclings bzw. der Entsorgbarkeit liegt dieser Becher gegenüber den allermeisten der heutigen Trinkgefäße deutlich im Vorteil – so ganz ohne Acrylkleber und Kunststoff-Beschichtung! (Kokosnusspokal der Familie Holzschuher, GNM Inv. Nr. HG8601_1)

Update 18. Februar: Verena Suchy, eine der Kuratorinnen dieser Ausstellung, hat als Reaktion auf meinen Text noch folgende Information beigetragen: „Kokosnussfleisch oder der Kokosmilch standen im 16. Jahrhundert noch nicht auf dem Speiseplan von Europäer:innen und sogenannte Kolonialwarenläden, in denen überseeische Lebensmittel wie Tabak, Kaffee oder Gewürze angeboten wurden, sind auch eher eine Erfindung aus der Hochphase des Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert. Die für den Pokal verwendete Schale war damit leider kein Abfallprodukt – so reizvoll ich den Gedanken auch finde. Kokosnussschalen kamen in der Zeit meist als Beiladung in Fernhandelsschiffen nach Europa und galten als seltene, kostbare und wundersame Naturalien. Sie waren adligen Sammlerinnen vorbehalten, die sie zu kunstvollen Trinkgefäßen umbauen ließen.“ Danke für diese Hintergrundinformation – die Realität ist mal wieder anders als es auf den ersten Blick scheint. Umso wichtiger ist es, voneinander und miteinander zu lernen!

Und – wie fandest du die Ausstellung?

Was ich mir immer wieder verdeutlichen muss, wenn ich das Germanische Nationalmuseum besuche: es ist ein kunsthistorisches Museum. Damit unterscheidet es sich von den meisten anderen Kunstmuseen und -Ausstellungen in Nürnberg, wie z.B. das Neue Museum, Kunsthalle oder Kunstvilla. Im GNM geht es um die Geschichte der Kunst- und Kulturgegenstände – und um Kunst- und Kulturgegenstände der Geschichte.

Der Titel „Hello Nature – wie wollen wir zusammen leben?“ ruft bei mir eher ein Gefühl von Getrenntsein von der Natur hervor – hier der Mensch, dort die Natur. Es werden drei große Ansätze präsentiert: die Haltung der Aggression (wie versucht der Mensch die Natur zu beherrschen?), das Gefühl der Auslieferung (wo wird der Mensch von Natur bedroht?) und eine bewahrend-helfende Perspektive (wie kann der Mensch die Natur schützen?). Die durchaus beeindruckenden Exponate beziehen sich dabei ausschließlich auf europäische Perspektiven. Das ist insofern verständlich, da das Museum einen europäischen Blickwinkel hat, greift aber meiner Ansicht nach bei der großen Frage des „Zusammenlebens“ zu kurz. Mir fehlten Verweise oder Beispiele zu kunsthistorischen Strömungen und Kulturen, bei denen das Naturverhältnis positiv und wertschätzend geprägt ist.

Auch wenn (oder gerade weil?) Natur über die Jahrhunderte ein „Gegenüber“ war, so ist es meiner Ansicht nach zentral, uns selbst als Teil der Natur wahrzunehmen – und unsere unbedingte, unauflösbare Verbundenheit mit den ökologischen Kreisläufen. In einer Zeit, in der ökologische Fragen zu den Lebensbedingungen auf unserem Planeten so präsent und drängend sind wie nie zuvor, hätte ich mir mehr Raum für diesen Aspekt gewünscht.

Interessant finde ich den Ansatz, mit einigen zeitgenössischen Arbeiten Bezüge in die Kunst der Gegenwart herzustellen. Und da schaue ich dann natürlich nochmal ganz genau auf Material: Es werden unter anderem Elfenbein-Figürchen als Beispiel für ausbeuterische und naturzerstörerische Materialwahl gezeigt. Doch bei den zeitgenössischen Arbeiten wird nicht hinterfragt, auf welchem Material Fotos präsentiert werden, welche Farben auf der Leinwand landen, welche Emissionen der Einsatz von KI erzeugt. Wo ist da die Grenze, worüber müssen wir noch lernen uns zu empören?

Positiv aufgefallen ist mir die Ausstellungsarchitektur. Im DIY-Charme sind Holzkonstruktionen aus Dachlatten sichtbar, es gibt keine opulenten Dekorationselemente. Die Stühle und Sitzbänke sind aus Pappe. Alles macht einen recht modularen bzw. demontierbaren Eindruck – was für Weitsicht im Hinblick auf die eingesetzten Material-Ressourcen spricht. Den Katalog zur Ausstellung gibt es übrigens kostenlos online als Open Access – das ist auch unter Ressourcen-Aspekten eine gute Entscheidung!

Insgesamt hinterlässt die Ausstellung bei mir eine Menge Fragen – und das ist durchaus positiv. Sie spornt mich an, mit meiner Harmlosen Kunst weiterzumachen. Denn Harmlose Kunst ist meine Antwort.

An dieser Stelle nochmal Danke an das Team und die Einladung von beyond content, für die Gelegenheit, die museumspädagogische Führung mitzuerleben und den interessanten Austausch im Nachgang!

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