Im Sommer 2017 brachte ich mir ein kleines Kunststück bei, das ich seitdem oft aufgeführt habe. Das Publikum bin ich selbst, selten noch eine zweite Person.
Hauptdarstellerinnen gibt es zwei: mich und eine Fliege. Die Fliege befindet sich im gleichen Raum wie ich, und zwar schon so lange, dass ich sie mehrfach bemerkt habe und sie meine Wahrnehmungsschwelle überschritten hat, sei es durch Landungen auf meiner Haut oder in der Nähe meines Essens oder durch ihr Fluggeräusch.
Der Beginn meiner Performance – und dieser Begriff ist weniger ironisch gemeint als man vermuten könnte – ist der Punkt, an dem ich entscheide, dass ich die Fliege gerne räumlich von mir trennen möchte, und zwar indem ich sie aus dem Raum hinaus befördere.
Mein sichtbares Werkzeug ist ein Glas und ein Stück Papier, mein unsichtbares Werkzeug ist Geduld. Sobald sich die Fliege, der ich manchmal auch noch beruhigend zurede, irgendwo hinsetzt und herumkrabbelt, nähere ich mich mit dem Glas auf 10 Zentimeter. Und dann beginnt das Spektakel. Denn die weitere Annäherung ist tatsächlich ein Akt der inneren Ruhe und Selbstdisziplin. Ganz langsam nur darf man sich bewegen, da die Fliege jeden nahenden Windhauch spürt und davor fliehen würde. Erst wenn der Rand des Glases nur noch einen Zentimeter von der Wand entfernt ist, lohnt es sich, den letzten Schwung zu wagen.
Es ist für mich ein Akt der Würde und des Repekts gegenüber allem Lebenden, die Fliege nicht zu töten. Es ist auch ein Akt der Demut – ich habe im Vorfeld nicht genügend Anstrengungen, z.B. in Form von Fliegengittern oder geschlossenen Fenstern unternommen, und damit die Fliege und mich überhaupt in diese missliche Lage gebracht. Es ist aber vor allem ein Akt der Achtsamkeit, der Wahrnehmung von Raum und Zeit, Störung und Lösung, von Warten und Handeln. Und deshalb ist es mehr als nur das Fangen einer Fliege – es ist das Loslassen eines Momentes.