Der folgende Gastbeitrag entstand im Rahmen des Seminars „Harmlos Kreativ“ an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Die Studentin Camilla Nähr beschreibt Hintergründe, Eindrücke und Prozesse aus dem Wahlfach-Seminar, das von Anna Hielscher im Sommersemester 2024 angeboten wurde. Danke, liebe Camilla! (Teil 2 / hier gehts zu Teil 1)
Eine Aufgabe im Seminar „Harmlos Kreativ“ an der Evangelischen Hochschule Nürnberg war es, Material für die „Harmlose Kunst“ zu sammeln, draußen in der Natur, aber auch im eigenen Haushalt. Ich habe deshalb meine organischen Abfälle für ein paar Tage in einer Metallschüssel gesammelt. Da ich mit jemandem zusammen wohne, habe ich die Person gebeten auch ihren Müll zu in der Schüssel dazuzugeben. Ich muss ehrlich sagen, es ist uns beiden total schwer gefallen, da das wegschmeißen von Müll in einen Eimer schon ein totaler Automatismus ist. Zusätzlich wurden wir beide abwechselnd krank und haben sehr wenig Essen zubereitet. Diesbezüglich hätte ich wohl meinen Plastikmüll sammeln sollen, das war nämlich in letzter Zeit mehr als erschreckend.
Das Projekt hat mich dazu bewegt bewusster einzukaufen und den Müll nicht immer einfach nur weg zu schmeißen.
Ich hab lange überlegt was genau ich aus den Resten neu schaffen möchte und mir ist bei der Betrachtung eine Idee gekommen.
Ich habe die Schalen, Teebeutel, usw. auf den Boden gelegt und fande, dass der „Müll“ aussah wie eine eigene kleine Welt. In den Abfällen unserer Welt versteckt sich ein geheimnisvolles Universum, das nur die Augen der Fantasie erblicken können. Dort, in den kunstvoll geformten Strukturen von Obstschalen und Teesatz, leben winzige Wesen, die in den Höhlen und Tälern des Bio-Mülls ihre Städte erbaut haben. Sie sind die Hüter dieser zerfallenden Reiche, die aus den Resten unserer Mahlzeiten eine märchenhafte Welt erschaffen, wo jedes Stückchen Abfall zu einem wertvollen Schatz wird.
In den Bananenschalen winden sich ihre gepflasterten Straßen, während in den vergessenen Sonnenblumenkernen prächtige Paläste aus süßem Duft emporragen. Kleine, leuchtende Pilze sprießen aus Eierschalen, beleuchten die dunklen Ecken dieser geheimen Städte, und winzige Flügelwesen tanzen zwischen den Überresten von Paprika und Zwiebeln. Die Zwergenhaften Bewohner dieser Welt nutzen die verwelkten Blätter als Segel, um auf den Wellen eines Teebeutels zu reiten, und sammeln die kleinsten Krümel als kostbare Vorräte für den Winter. Ihr Leben ist eine zarte Balance zwischen Verfall und Schönheit, wo jede Verwandlung gefeiert wird und jeder Moment kostbar ist. In ihrer Welt gibt es keine Verschwendung, nur die ständige Wiedergeburt des Wunders, das in der vergänglichen Pracht des Vergessenen liegt.
Also habe ich angefangen zu fotografieren, erst ganz nah, um die schönen Details einzufangen und habe danach einen weiteren Winkel genommen. Es fällt stark auf, dass man sich am Anfang fragt was das genau ist, es sieht schön aus, aber ist dennoch nicht identifizierbar. Mit jedem Foto nimmt der Abstand zum geheimnisvollen Objekt zu, und umso klarer wird, um was es sich da eigentlich handelt: Schalen von Zwiebeln, Sonnenblumen, Eiern, Teebeutel und Tomatenstängel.
Nach Abschluss des Fotografierens fehlte mir der Aspekt des „wieder in die Natur Zurückführens“ und deshalb möchte ich die Reste so gut es geht als Grundlage für ein kleines Beetchen in meiner Wohnung nehmen. Und aus dem getrockneten Tee möchte ich Dünger für meine Pflanzen herstellen.
Camilla Nähr, Teilnehmerin am Seminar „Harmlos Kreativ“ 2024 an der Evangelischen Hochschule Nürnberg